Tokyo Tribe
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BEWERTUNG |
04.06.2016 von LorD AvengerTokio wird von 23 verschiedenen Clans beherrscht, allen voran von den Wu-Ronz, dessen Anführer Buppa nach der Alleinherrschaft strebt. Mischt man ein mysteriöses, verschlossenes Mädchen und verletzte Männlichkeit in die Gleichung hat man schnell einen ausschweifenden Bandenkrieg auf den Straßen Tokios – und fügt man noch eine ordentliche Portion Hip Hop hinzu, ergibt sich Tokyo Tribe.
Ich habe einen von diesen dezent überzogenen schießgeilen Asia-Action-Streifen erwartet, schnell wurde mir aber klar, dass es damit nichts am Hut hat – „dezent überzogen“ ist dezent untertrieben. Allein, wenn man die kunterbunte, utopische Aufmachung von Tokio sieht und die noch abgefahreneren Looks einiger Figuren, weiß man gleich, dass hier ein Manga zugrunde liegt. Die japanische Comic-Serie erschien von 1997 bis 2005 in einem Fashion-Magazin, bevor Studio Madhouse für 2006 einen entsprechenden Anime umsetzte – es verstrich also gehörig Zeit, bevor Sion Sono sich vornahm, das Ganze noch mal fürs Fernsehen aufzubereiten. Und man muss ganz ehrlich sagen: Er hat es nicht schlecht gemacht. Trotzdem ist es ein sehr spezieller Film, der sicherlich nicht nur Stärken hat.
Im Grunde genommen lässt sich Tokyo Tribes als Musical mit trashigen Splatter-Effekten deklarieren. Es vergehen keine 5 von insgesamt viel zu langen 116 Minuten, in denen nicht einer der zahlreichen Darsteller seinen Mono- oder Dialog in Rapform an den Mann bringt. Und nicht nur, ob es nun Dialog oder Monolog wird ist hier belanglos, auch ob der- oder diejenige rappen kann oder nicht. Spoiler: Kein einziger Mensch im ganzen Film kann sich auch nur im Ansatz gekonnt musikalisch artikulieren. Gerade deswegen ist es auch sehr schade, dass man den Film nicht synchronisiert hat – diese Gesangsleistungen hätte jeder deutsche Sprachkünstler mindestens genauso gut hinbekommen. Stattdessen muss der Zuschauer annähernd 2 volle Stunden recht schnell wechselnde Untertitel lesen, die zwar anstrengend, dafür aber echt gut übersetzt wurden. Der vulgäre Unterton wurde unverblümt übernommen und man hat sich sogar Mühe gegeben, die Verse auch im Deutschen reimen zu lassen. Das ist eine verdammt starke Leistung, die man, wie gesagt, ruhig mit einer Synchronisation hätte würdigen können. Andererseits kriegt niemand überzogene und kranke Charakterstimmen so gut hin wie ein Japaner.
Optisch ist der Film definitiv sehr ausgefallen und das meine ich absolut positiv und ganz abgesehen von der soliden Blu-ray-Qualität. Wir haben das typische Utopie-im-Studio-aufgenommen-Setting – ähnlich den Städten in Total Recall, wo alles sehr dunkel ist, aber leuchtende Farben und Lichter den Blick auf die vordergründigen Kulissen ziehen. Und die lückenlos mit Graffiti übersäten Wände, die zusätzlich mit verschieden farbigen Lichterketten und Neonschildern behangen sind, machen einfach was her und überzeugen absolut! Das urbane Unterwelt-Feeling mit kuriosen Gestalten und korrupten Polizisten überzeugt von vorne bis hinten und entführt einen genauso in eine andere Welt wie ein Blade Runner, nur ohne die Science-Fiction. Die Kameraeinstellungen spielen da hervorragend mit rein und belichten jeden Winkel der skrupellosen schmutzigen Welt, in der jungen Polizistinnen an die Brüste gegrabscht wird, bevor man ihnen die Kleider vom Leib reist und den nackten Vorbau aus 20 verschiedenen Winkeln präsentiert. Und auch wenn man sich anfänglich etwas damit zurückhält, so arten auch die Splattereffekte zum Finale hin immer mehr aus – auf wünschenswerte Weise. Zwar haben wir hier nur eher billige CGI-Blut-Effekte, die natürlich auch wieder vollkommen überzogen sind, aber es passt eigentlich ganz gut und nach anderthalb Stunden bescheuertem Wahnsinn kann man sich auch noch eine halbe Stunde bescheuerte Brutalität angucken.
Die Charaktere sind teilweise echt richtig stark, besonders auf der Seite der schlichtweg durchgeknallten Bösen. Nicht nur haben sie sehr extravagante Kostüme und Frisuren, sie werden von ihren Darstellern auch sehr überzeichnet gespielt, was gut zu dem Musical-Charakter passt. Muss man drauf vorbereitet sein.
Was in handelsüblichen Musicals aber natürlich nicht so geil rüberkommt sind die Kampfchoreografien. Tokyo Tribe ist vielleicht nicht zur Hälfte, aber doch zumindest zu einem Drittel ein Martial Arts-Film mit durchaus gelungenen Moves, die man zwar überwiegend nicht ernstnehmen kann, die aber Spaß machen – genauso wie die paar Schießereien, die sich im Grunde aber nur aufs Finale beschränken. Cover & Bilder © AV Visionen GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Das Fazit von: LorD Avenger
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